Der Begriff der „Akzeptanz“ begegnet mir seit vielen Jahren immer wieder in verschiedenen Kontexten. Wir finden ihn in der stoischen Philosophie, im Buddhismus oder anderen spirituellen und
religiösen Lehren, in der Psychologie und therapeutischen Praxis, im Zen und sogar in der Medizin. Akzeptanz meint das Gegenteil von Ablehnung. Wiederum ist das „Gegenmittel“ für Ablehnung nicht
Akzeptanz, sondern eher die Akzeptanz der Ablehnung. Klingt irgendwie kompliziert, oder?
Einen neuen Annäherungsversuch an das Konzept oder die Idee der Akzeptanz habe ich seit einigen Wochen gestartet, vor allem mit Bezug zu meiner aktuellen Lebenssituation. „Auf den Nullpunkt“ zu kommen, war definitiv nicht Teil meiner „Lebensplanung“. Das Paradoxe ist: Widerstand durch Ablehnung einer Situation
erzeugt nur mehr Leid. Im Buddhismus heißt es: Die Wurzel allen Leidens ist der Widerstand gegen die Situation.
Mit meiner persönlichen Erfahrung stimmt das ganz gut überein. Je mehr man sich gegen etwas wehrt, sei es ein Verlust, eine Krankheit, ein Schmerz, ein unerfüllter Wunsch, ein unangenehmes
Gefühl, aufdringliche Gedanken... desto stärker tritt es zutage. In der Psychologie ist dieses Phänomen als „ironischer Prozess“ bekannt. Schaue dazu auch gerne nochmal hier vorbei. Ironische Prozesse spielen bei der Überwindung verschiedener Angst- und Zwangserkrankungen eine tragende Rolle.
Aber wie geht das nun mit der Akzeptanz?
Es sagt sich ja so einfach: Akzeptiere dies und jenes, nur dann wird es besser werden. Ja, so einfach ist es nicht. Akzeptanz ist bedingungslos. Wenn Akzeptanz selbst zum Bewältigungsmechanismus
wird, im Sinne von: „Ich akzeptiere jetzt dieses und jenes, damit es weggeht.“ – dann entsteht unweigerlich wieder ein ironischer Prozess. Nun wird manch einer sagen: Aber wie soll man denn eine
unangenehme Situation akzeptieren, wenn sie doch nunmal unangenehm ist und womöglich auch noch unangenehme Konsequenzen nach sich zieht, die ja real sind?
Genau diesen Punkt habe ich nun auch schon recht lange umkreist. Stets begleitet von „Aber, was wenn...“ oder „Es soll aber so und so sein, nicht anders.“ Gerade im Umgang mit widrigen
Lebensumständen, Krankheiten oder anderen Hürden drängen sich derartige Gedanken und die damit verbundenen Gefühle besonders gerne auf. Aber: What you resist, persists. Vera Birkenbihl drückt es
folgendermaßen aus: Der Widerstand verschwindet, wenn du das aufgeben kannst, was du zu verlieren fürchtest. Über diesen Satz kann man definitiv etwas länger nachdenken.
Ich habe den „Nullpunkt“ definiert als den Punkt, an dem die Erkenntnis da ist, dass ein Wendepunkt im Leben nach oder während einer Krise nicht einfach so geschehen wird. Es ist der Punkt, an
dem begriffen wird, dass man sich selbst „neu auf die Welt bringen“ muss, da man das Problem oder die Krise nicht mit den gleichen Strategien und Mitteln lösen kann, mit denen sie befeuert wurde.
In puncto „Akzeptanz“ will ich noch einen neuen Punkt definieren und ich nenne ihn „Singularität“. Es ist der Punkt, an dem nicht nur eingesehen wird, dass man den Kurs ändern muss, sondern zusätzlich auch der Punkt, an dem eingesehen wird, dass jeder mögliche „Ausgang“ dieses Kurswechselns akzeptiert werden muss. Da jegliches „Um... zu...“ wieder zum Ausgangspunkt der Krise führen würde.
Herbeiführen, was man vermeiden will
Ein Kurswechsel, wie auch immer er geartet ist, kann Konsequenzen haben, gegen die wir Widerstände hegen. Um die befürchteten Konsequenzen zu „vermeiden“ tappen wir wieder in alte Anpassungs- und
Bewältigungsstrategien. Hier liegt der Zirkelschluss. Um aus dieser „Zirkularität“ auszutreten, bleibt uns nur die freiwillige Herbeiführung der Singularität. Dem Punkt, an dem wir die Zügel aus
eigenen Stücken lockern. Anstelle von: „Und wenn...?“ sagen wir uns: „Und wenn. Dann ist es eben so.“
Dieser Punkt, den ich Singularität nenne, bringt eine weitreichende Form von „Friedlichkeit“ und sogar Gelassenheit mit sich, da er einer inneren Haltung entspringt, die akzeptierend ist, ohne
jedoch mit dieser Akzeptanz etwas erreichen zu wollen. Es ist wie Segel setzen, den sicheren Hafen verlassen, ohne zu wissen, ob neues Land in Sicht treten wird. Es ist einer der
herausforderndsten Schritte im Leben eines Menschen, denke ich. Losfliegen, ohne zu wissen ob die Flügel tragen werden.
Dieser Moment, in dem all diese Erkenntnisse tiefer rutschen, das ist die Singularität. Wir planen unentwegt unser Leben, machen uns Vorstellungen davon, wie es sein soll, wie es zu sein hat und
wie es auf gar keinen Fall kommen und sein darf. Wir leben in einer Welt voller Ungewissheit und erkämpfen uns tagtäglich die vermeintliche Sicherheit.
Hierdurch wächst der innere Widerstand – und damit das Leiden – da wir insgeheim wissen, dass eben nichts sicher ist. Nicht das Geld, nicht die Rente, nicht der Job, nicht die Gesundheit, nicht
die Freunde, nicht die Anerkennung, nicht die Jugendlichkeit, nicht die Schönheit, nicht das Leben. Nichts ist sicher, denn alles ist vergänglich.
Sicherheit im Sinne von absoluter Gewissheit ist eine Illusion.
Im Moment der Singularität – im Zen heißt es „Gewahrsein“ – erkennen wir diesen inneren Kampf, beobachten ihn, erkennen ihn. Dann löst er sich auf. Aber wir forcieren seine Auflösung nicht. Indem
wir ihn erkennen und akzeptieren, löst er sich von selbst auf, ohne dass wir es gewollt oder angestrebt hätten. Wir erkennen an, dass nichts gewiss ist und deshalb versuchen wir gar nicht mehr,
Gewissheit zu erkämpfen. Unweigerlich treten wir in den gegenwärtigen Moment ein – der einzige Moment der jemals real war, ist und sein wird. Jetzt. Nicht gestern, nicht morgen. Immer nur
jetzt.
Wogegen hegst du die größten Widerstände?
Aura (Samstag, 07 Oktober 2023 12:40)
Hallo Layla,
deine Angst vor Verbindlichkeit könntest du ja mal weiter erforschen. Im Wort "Verbindlichkeit" steckt ja auch das Wort "Bindung". Die Angst vor Bindung und damit einhergehender Verantwortung kann sich in vielen Lebensbereichen zeigen. Und wie es so oft ist im Leben: Man bekommt die Lektionen immer härter vor die Füße geworfen, bis man sie gelernt hat. Oder anders ausgedrückt: Das Leben wiederholt keine Lektion, die wir bereits verinnerlicht haben.
Du könntest ja für dich mal ein wenig "tieftauchen" und herausfinden, welche weiteren Ängste und Glaubenssätze sich hinter deiner Angst verbergen.
Layla (Samstag, 07 Oktober 2023 08:52)
"Wogegen hegst du die größten Widerstände?
Was ist deine Erfahrung mit Akzeptanz?"
Meine beiden Endgegner: Erwerbsarbeit und verbindliche Beziehungen aller Art.
Erwerbsarbeit konnte ich dank frugaler Lebensweise und einer in jungen Jahren geerbten Eigentumswohnung in für mich gerade noch erträglichen Grenzen halten: Nach meiner Ausbildung habe ich konsequent nur zwei Tage in der Woche gearbeitet.
Was du in einem anderen Beitrag vorschlägst, ist mir nie gelungen: Frieden zu schließen mit der Notwendigkeit, für meinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Eine weitere Erbschaft hat mich nach wenigen Jahrzehnten widerwilliger Erwerbsarbeit endgültig von diesem Problem erlöst.
Dafür muss ich mich meiner zweiten Phobie seit einigen Jahren stellen: Nachdem ich mir verbindliche Beziehungen aller Art - meine Eltern, lebenslange Freundschaften, Haustierhaltung, Kinderkriegen, feste Partnerschaften - bewusst vom Leib gehalten habe, bin ich jetzt für meine pflegebedürftige Mutter zuständig.
Um die Akzeptanz dieses Zustands ringe ich jeden Tag. In mir reifen in etwa gleich großen Anteilen Akzeptanz und Verbitterung. Ich akzeptiere, dass sie mich braucht. Es käme mir nie in den Sinn, mich nicht um sie zu kümmern. Ich sage mir: Solange sie lebt, ist das eben so.
Zeitgleich bin ich fassungslos und entsetzt, dass mich das Leben mit dem konfrontiert, was ich am wenigsten will und kaum ertrage: ein anderer Mensch, für den ich zuständig bin.
So richtig lernen werde ich diese mir vom Leben erteilte Lektion in Sachen Akzeptanz nicht. Dazu ist mein Widerstand zu groß. Ich akzeptiere meinen Widerstand...
Martina (Montag, 27 Februar 2023 18:11)
Liebe Aura, ich kann jetzt gar nichts sachdienliches dazuschreiben, ausser dass mich dieser Blogpost sehr nachdenklich gemacht hat. Das ist definitiv ein wichtiges Thema. Ich habe mir zwei Screenshots von den Passagen gemacht, die am meisten hängen geblieben sind und muss einfach noch etwas darüber nachdenken. Danke für diesen wertvollen Input!