Gabi Raeggel hat mich wieder mal dazu inspiriert über ein ganz allgegenwärtiges Thema nachzudenken:
Werbestrategien. Und daher auch über den Fakt, dass der Kaufrausch kein Zufall ist. Die Dokumentation über die Tricks eines bekannten Möbelriesen ist hier ein wunderbarer Einstieg in die Materie. Aber fangen wir von vorne an.
Es ist schon einige Jahre her, als ich zum ersten Mal verstand, wieso ich scheinbar so viele behandlungsbedürftige Probleme und Mangelzustände habe: Zu wenig Deko zuhause, trockene Haut,
Cellulite, widerspenstiges Haar, Hornhaut an den Füßen und gelbe Zähne. Und viele mehr. Damals war ich vielleicht 13 oder 14 Jahre alt und derartige Probleme schienen sich zu türmen bis ins
Unermessliche.
Ich hatte schon einiges auf meiner Merkliste von Cremes, über Hornhautsocken bis zu dubiosen Aufhellern für Zähne. Ein Glück, dass ich nichts davon gekauft habe. Auf meiner verzweifelten Suche nach Lösungen für meine Probleme stieß ich auf einen Artikel, der meine Perspektive erhellte.
Problemifizierung und künstliche Bedürfnisse
Anstatt die üblichen Produkte zu bewerben, dekonstruierte dieser Artikel auf eindringliche Art und Weise die künstlichen Bedürfnisse, die durch Werbung entstehen. Das war für mich neu. Und
erkenntnisreich. Denn ich fragte mich plötzlich: Habe ich vielleicht gar kein Problem? Sind Cellulite und Co. vielleicht nur zu Problemen deklariert worden, um anschließend das passende Produkt
dafür zu vermarkten? Die Problemifizierung einer natürlichen Begebenheit hatte in mir ein neues – künstliches – Bedürfnis geweckt.
Ich weiß nicht wie, aber diese Erkenntnis hat in mir einen „Klickmoment“ bewirkt. Ich begann, alles zu hinterfragen, was im gutbürgerlichen Leben als „normal“ gilt:
Shampoos, Cremes, Dekoartikel bis unter die Decke, fragwürdige Haarentfernungsprodukte und Kosmetik. Und vieles mehr. Ich stellte mir immer wieder die Frage: Braucht man das wirklich? Und wenn
ja, gibt es vielleicht eine Alternative direkt aus der Natur?
Der ganze Denkprozess brachte mir nun auch endlich die Antworten ein, die man mir als Kind im Kindergarten nicht geben konnte: „Frau Soundso, warum brauchen Menschen eigentlich Shampoo und Zahnpasta und Tiere nicht?“ – „Naja das braucht man nun mal.“
Das AIDA-Prinzip
Einen guten Überblick über die systematische Erzeugung von Bedürfnissen gibt das AIDA-Prinzip, das ich auch gerne als Grundlage im Unterricht zur Medienbildung verwende. Die Kinder sind immer
ganz verblüfft, wenn sie verstehen, dass Werbung im Grunde Manipulation ist. Sie haben dann sehr viel Freude daran, eigene Produkte zu erfinden und diese per AIDA-Prinzip in Szene zu setzen und
zu bewerben.
AIDA macht aus einem Interessenten einen Kunden, indem über vier Schritte erst Aufmerksamkeit, dann Interesse und eine emotionale Bindung aufgebaut werden, die dann zu einer Kaufhandlung führen.
Am fiktiven Produkt „Ecofoot“ zeige ich euch, wie das funktioniert. Ecofoot habe ich mir selbst zu Beispielzwecken im Unterricht ausgedacht.
Ecofoot ist eine Produktserie verschiedener Hygieneprodukte für den Haushalt, die aus nachhaltigen Quellen stammen, vegan und ökozertifiziert in Deutschland hergestellt werden. Ecofoot Produkte
sind in Ökopapier eingeschlagen und sind in einem einheitlichen, organischen Design gehalten. Ein kleiner Fußabdruck bildet das Logo. Eine Ecofoot Handseife gibt es ab 15,99€ oder im Set für
19,99€. Die Produkte werden mit einem minimalistischen Slogan beworben, hellbraune Schrift auf Creme-Untergrund mit leichter Faserstruktur: „Ecofriendly mit Ecofoot – befreie deinen
Fußabdruck!“
A – Attention (Aufmerksamkeit): Durch Design, Einheitlichkeit und Thema mit Variation (Fußabdruck, Farben, Namensgebung), die Absicht ist klar und spricht Personen an, die sich
über Nachhaltigkeit definieren möchten und diesen Lebensstil aktiv vertreten (möchten). Hier wird die Aufmerksamkeit angesprochen und gelenkt.
I – Interest (Interesse): Um zur Kaufhandlung zu bewegen muss das Interesse nachhaltig aufgebaut und aufrecht gehalten werden. Im nächsten Schritt kann die interessierte Person
sich über das Produkt informieren und erfährt etwas über die nachhaltigen Herstellungs- und Produktionsbedingungen vor dem Hintergrund der Problematik des ökologischen Fußabdrucks. Design,
Absicht und Statement des Produkts passen zusammen und erzeugen weiteres Interesse.
D – Desire (Wunsch, Bedürfnis): Durch die Problemifizierung eines nicht-ökologischen Fußabdrucks entsteht beim Interessenten der Wunsch nach einer Lösungsfindung. Das beworbene
Produkt Ecofoot verspricht genau das: Einen befreiten und ökologischen Fußabdruck ohne schlechtes Gewissen. Zugleich entsteht eine Identifikation mit der Aussage des Produkts durch einen
indirekten Slogan, der durch den Hauptslogan implizit vermittelt wird: Wenn du Ecofoot verwendest, bist du ökofreundlich und das ist gut!
A – Action (Handlung): Der Interessent wird zum Kunden, wenn er jetzt überzeugt ist von Ecofoot. Liegt der Preis zudem in einem mittleren Bereich wird sein Vertrauen steigen, da
nachhaltig hergestellte Produkte nicht so kostengünstig sein können, wie nachlässig hergestellte Produkte. Gibt es vielleicht sogar kostenlose Testprodukte zum Ausprobieren oder Treuesysteme?
Überzeugt. Produkt verkauft.
Die Sache mit der Identität
Und, was ist jetzt nachhaltiger? Ecofoot oder doch Natron aus der Drogerie und Efeusaponin aus dem eigenen Garten? Entscheide selbst. Das künstliche Bedürfnis ist aus meiner Sicht eigentlich nur
der Triggerpunkt, denn eigentlich geht es um etwas, das noch viel tiefer in uns allen sitzt: Unsere Identität. Marken und Produkte haben viel mit Identität zu tun und daher auch ganz konkret mit
Zugehörigkeit und speziell Gruppenzugehörigkeit. Deshalb ist es so schwierig, den Werbetricks nicht auf den Leim zu gehen.
Wir haben das Bedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und wenn wir selbst von Apfel-Produkten schwärmen und überzeugt sind, dann werden uns andere Apfel-Produkt-Nutzer unbewusst sympathischer sein
als Personen, die keine Apfel-Produkte verwenden möchten. Man mag diesen Umstand abstreiten wollen, da der gesunde Verstand differenzieren möchte. Tief in unserer psycho-sozialen Wahrnehmung
macht es dann doch etwas mit uns.
Es fängt manchmal schon beim favorisierten Kaffee oder bei der Lieblingsserie an: „Ach, die schaue ich auch so gerne! Toll, dass wir da eine Gemeinsamkeit haben!“ Kaufrausch ist kein Zufall. Wir
konsumieren um dazuzugehören. Auch das Nicht-Konsumieren erzeugt Zugehörigkeiten.
Welche Werbetricks entlarvst du im Alltag?
Aura (Freitag, 06 August 2021 12:08)
Hallo Aurelia,
ja genau, die Sache mit den guten Gefühlen und Erfolg ist eben genau das, was uns da so beeiflussbar macht. Sicht gut fühlen, zu den "Glücklichen" und "Erfolgreichen" dazugehöre. Generell dazugehören zu dem, was gerade chic ist. Gar nicht immer so leicht, aber machbar!
Hallo Walter,
Machtinteressen ist ein wichtiger Punkt! Allein wenn man sich vorstellt, was passieren würde, wenn von jetzt auf gleich nur noch die Hälfte konsumiert wird, gäbe es einen ziemlichen Crash. Gewissermaßen ist das Funktionieren unseres Systems davon abhängig, dass Menschen mit gewisser Frequenz konsumieren. Ein kleiner großer Teufelskreis.
Walter (Donnerstag, 05 August 2021 13:18)
Servus Aura, Saponin aus dem eigenen Garten, zumindest wenn ohne Kunstdünger und chemische Schädlingsbekämpfung, ist “natürlich“ unüberbietbar. Aber sonst... kannst du deiner Produktlinie nachweisen, dass sie aus Permakultur, nachhaltig produziert und transportiert werden kann, dann abonniere ich gerne ☺
Übrigens haben zumindest Haustiere genau wie Menschen manche Hygieneprobleme. ZB Zahnstein
Ich hab mal mehr oder weniger zufällig Ötker Werbevideos aus dem Jahre Schnee angeschaut. Das damalige Weltbild, dass da rüberkommt, die gesellschaftlichen Zwänge - unfassbar, eigentlich schockierend. Es scheint so, dass Werbung nicht nur als Mittel zum Steigern des Konsums, sondern anderen Interessen (Macht über Menschen) dient.
Aurelia (Sonntag, 01 August 2021 17:25)
Gerne werden auch gute Gefühle und Erfolg versprochen wenn man Produkt x kauft/verwendet :-) und wer möchte das nicht, Glück haben und erfolgreich sein. Dieser Trick existiert schon seit es Werbung gibt, kann man schön an ganz alten Webeclips sehen.
Lg Aurelia
Andrea (Samstag, 31 Juli 2021 15:49)
Ich spende Applaus für diesen Text! Mir ging es mal in einer Drogerie beinahe so: die Artikel waren im retro-Apotheken-Design, machten schon was her. Nur waren die Flaschen auch aus Plastik und das Info-Heft dazu entsprach ganz der von Dir geschilderten Taktik.