Die Bruchstücke und beschriebenen Szenarien des Verfasser A. sind Teil des autobiographischen Hauptwerks "Anima Hollow - Die Stadt der Spiegel", das als kafkaeskes Horror-Setting
für RPG, Storytelling und Kreatives dient. Und dieses Haus, das noch immer an Bedeutung gewinnt...
Einige Bruchstücke sind auch als Audio verfügbar:
Introspektionen - lauschen
Konversationen - lauschen
Bestandsaufnahmen - lauschen
Der Grenzgänger - lauschen
Die folgende Analyse nimmt Bezug auf die Bruchstücke I-VII. Vier der sieben Bruchstücke enthalten keinerlei Hinweise auf den oder die Verfasserin. Es liegt jedoch nahe, dass es
sich bei allen Bruchstücken um persönliche Aufzeichnungen von Verfasser A. handelt. Weshalb seine Signatur in den Bruchstücken IV-VII nicht auftaucht, bleibt ungeklärt. Die Bruchstücke I-VII
liegen teilweise in unterschiedlichen Versionen vor. Es ist nicht klar, wieso einige Details nachträglich entfernt oder hinzugefügt worden sind. Das Bruchstück VIII (Der Grenzgänger) ist nicht
Teil der Rekonstruktion, da es wesentlich später entstanden ist als die anderen vorliegenden Bruchstücke.
Die Beschreibungen in Wege in das Untere offenbaren eine rhizomatische Struktur des unterkellerten Gebäudes, in welchem Verfasser A. wohnhaft zu sein scheint und einen Schacht
entdeckt. Hier beginnt eine Verkettung mystischer Ereignisse, die sich ins Endlose verlieren. Ähnlich verschlungen gestalten sich die Bruchstücke als solche – sie gelten als Abbildung dessen, was
beschrieben wird. Verfasser A. spannt ein Netz aus schillernden Wahrnehmungen und bizarren Welten, die psychotisch wirken. Er wird damit selbst zur Personifikation einer Psyche oder wie wir es
ausdrücken: Zu einer psychosomatischen Manifestation seiner inneren Subjektivierung.
Die Unterkellerung beginnt beim Verfasser selbst und setzt sich zunächst materiell-häuslich fort. Das Haus als psychologische Erweiterung des Körpers liefert hier erste Anhaltspunkte: Es
offenbart in einem schrittweise voranschreitenden Prozess ungekannte Bereiche und Räume und gewinnt damit an psychologischer Tiefe. Der Schacht stellt die erste Brücke zwischen dem sichtbaren und
unsichtbaren Bereich des psychologischen Hauses dar, er verbindet die bürgerliche mit der Unterwelt und das Bewusstsein mit dem Unterbewusstsein.
Das Ausmaß allen Unbewussten offenbart sich dem Verfasser erst mit fortschreitender Erkundung der unterirdischen Räumlichkeiten. Die Unterkellerung übernimmt an dieser Stelle die
Funktion des Unterbewussten selbst, indem alles und jedes unterkellert wird: Selbst der Keller verbirgt weitere Hohlräume, labyrinthische Flure und außerirdische Wohnstätten, die „nicht von
Menschenhand“ gemacht sind. Der Schatten wirft einen noch dunkleren Schatten. Damit wird das Prinzip der Unterkellerung und des Unbewussten multipliziert.
Verfasser A. erlebt innerhalb des Erkundungsprozesses eine Initiation in dieses Schattenreich, das zunehmend an Sichtbarkeit gewinnt. Das unterkellernde Prinzip erweitert hier die Funktion des
Unbewussten und Verschleiernden um die Funktion des Erkennenden: Was zuvor im Dunkel lag, wird jetzt ein-sehbar. Damit gewinnt es auch an Greifbarkeit, verstärkt jedoch den Mechanismus der
Verdrängung, da die Härte des Wahrgenommenen zu einer tiefen Retraumatisierung des Verfassers führt. Zwischen Selbsterkenntnis und Selbstdestruktion pendelt Verfasser A. hin und
her, ohne Aussicht auf Heilung und Ankommen. Die Tiefe des unterirdischen Gewölbes verliert sich in schiere Ewigkeit ohne Grund und Boden. Sie zieht dem Verfasser der Aufzeichnungen wortwörtlich
den Boden unter den Füßen weg.
Die Initiation besteht in genau dieser Erkenntnis: Dass alles wahr-genommen ist. Das Wahrgenommene ist nicht etwas Äußerliches, sondern es insistiert im Wahrnehmenden selbst, der es nach außen
projiziert. Dieser Prozess der Faltung von Innen und Außen nimmt auch in den Bruchstücken V und VI greifbar Form an und wirft neue Aspekte der Psyche von Verfasser A. auf.
Die Bruchstücke lassen wenig Schlüsse auf die Haltung des Verfassers gegenüber seinen eigenen Erlebnissen zu. Er scheint selbst zwischen Realität und Traum zu schwanken, zwischen Schein und Sein.
Eine innere Ankunft oder Auflösung gibt es auch „am Ende“ nicht. Dies wird deutlich in Bruchstück VII. Hier entfaltet sich der paradiesische Garten zu einem erneuten Höllenszenario, das eine
echte Freisetzung des höheren, psychologischen Selbst zuverlässig unterbindet. Die Auslagerung der wahrgenommenen Figuren in eine fantastische Welt verstärken den Aspekt der Fremdbeeinflussung,
die Verfasser A. erlebt. Die Folgen der Projektion und Spiegelung werden nicht erkannt.
Verfasser A. bleibt gefangen in seiner eigenen Subjektivierung, die, ähnlich wie die Struktur der Bruchstücke selbst, verwildert, verwuchert und letztendlich verworren bleibt.
Die rankenden Wissensbestände um Verfasser A. sind komplex und nicht ganz einfach zugänglich. Zunächst: Verfasser A. ist mein literarisches Ich und Alter-Ego, wie auch im Eingangstext zur
Spiegelstadt erwähnt. Die Sache ist jedoch ein wenig verworren. Die Bruchstücke, die von Verfasser A. zusammengetragen wurden, existieren schon ziemlich lange. Vor allem die „Wege in das Untere“
sind vor vielen Jahren während meines Studiums entstanden, als mich Kafkas „Der Bau“ zutiefst inspiriert und gefesselt hat. Die Bruchstücke geben traumartige und oft abstrakte Einblicke in
bizarre Szenarien, die vor allem symbolisch und psychologisch zu begreifen sind.
Die Rekonstruktion der Bruchstücke bildet hierbei einen Annäherungsversuch, in welchem ich sozusagen meine eigene Alter-Ego-Schreiberei analysiere. Schreiben ist für mich ein psychologisches
Werkzeug zur Klärung und Ordnung meiner Wahrnehmungs-, Denk-, Fühl-, und Handlungsmuster. Insofern ist der Prozess der Analyse meiner eigenen Schreiberei tatsächlich ziemlich „meta“ und sehr
aufschlussreich.
Durch das Literaturstudium habe ich herausgefunden, dass mir ein literarisches Alter-Ego dabei behilflich sein kann, die Grenzen und Möglichkeiten der „Sprach-Malerei“ auf einer
tiefenpsychologischen Ebene zu ergründen. Was in den Bruchstücken zum Ausdruck kommt und für die Leserschaft relativ zusammenhangslos erscheinen könnte, hat seinen gemeinsamen Nenner im Konzept
der Spiegelstadt, die ein autobiographisch-psychologisches Weltenbau-Projekt meinerseits darstellt. Dazu ist ebenfalls im Eingangstext einiges nachzulesen.
Die Bruchstücke bilden die innere Welt ab. Sie nehmen systematisch Bezug aufeinander und erweitern oder verdichten tiefenpsychologische Aspekte der inneren Welt. Die innere Welt
ist all das, was wahrgenommen werden kann. Die innere Welt ist das Abbild einer Psyche. Es wird angenommen, dass alle Bruchstücke auf den anonymen Verfasser „A“ zurückgehen. Die Wege in
das Untere stellen eine eindeutige Schilderung der Tiefen Stadt dar, welche von Verfasser A. erkundet und beschrieben wird, nachdem er den Zugang über einen im Haus installierten Schacht
findet.
Da sich das Haus in der Wandergasse befindet, erklärt sich die Eigenartigkeit der beschriebenen Vorkommnisse. Es erklärt auch, weshalb Verfasser A. überhaupt einen Zugang in die Tiefe Stadt
finden konnte, da diese noch tiefer liegt als Unterstadt. Die Wege in das Untere symbolisieren den tiefenpsychologischen Schatten und das kollektive Unbewusste nach Carl Gustav Jung, das in
Gestalt des unterirdischen „Unterkellerten“ oder in Form des nächtlichen Träumens ergründet und ausgelotet wird.
Die Konversationen stellen eine Art Protokoll über die Vorkommnisse und Gespräche im Gasthaus Zur Goldenen Katze dar, die von Verfasser A. belauscht werden. Wir erfahren nicht,
wer hier spricht, wohl aber, was gesprochen wird und wie die Konversation endet. Jetzt verstehen wir auch, was es mit der Zeit im Gasthaus Zur Goldenen Katze auf sich hat. In den Konversationen
begegnen wir dem Gevatter Tod, der uns am Ende offenbart, dass die Welt nicht mehr ist als „ein Land voller Spiegel“. Hier besteht ein direkter Bezug zur Spiegelstadt selbst, die ja nichts weiter
als ein Abbild dessen ist, was innen liegt.
In den Konversationen wird außerdem deutlich, dass der Beobachter nahezu identisch zu sein scheint mit dem, was er beobachtet – die belauschten Gespräche im Gasthaus entpuppen sich als reine
„Selbst“-Gespräche, oder haben wir sie wirklich im Außen wahrgenommen? Der gesamte Umstand verweist auf die Komplexität von Kommunikation und Wahrnehmung selbst – was ist wirklich wahr angesichts
der Tatsache, dass wir die Außenwelt stets durch unsere eigenen psychologischen Filter erleben?
Die Bestandsaufnahmen lassen sich ziemlich zuverlässig als Beschreibungen des Seufzenden Hauses einordnen, in welchem Verfasser A. ein Apartment gemietet hat. Es ist bekannt,
dass das Seufzende Haus kein „normales“ Haus ist. Hinzu kommt, dass es in der Wandergasse liegt. In den Bestandsaufnahmen erfahren wir, inwiefern sich die materielle Instabilität des Seufzenden
Hauses auf den Bewohner auswirkt. Das Haus als zentraler Ort des Erlebens symbolisiert den erweiterten Körper und die erweiterte Grenze der Psyche seines Bewohners. Harte Fassaden symbolisieren
genau das: Harte, psychische Abwehrmechanismen und Schutzmauern.
Aber die Bestandsaufnahmen offenbaren noch mehr. Das Haus, welches beschrieben wird, gleicht nahezu einer Festung, die mühselig erbaut wurde. Es symbolisiert damit ein inneres Konstrukt, das instabil wird, weil es auf ungünstigen psychologischen Prägungen beruht. Die Wände sind rissig, offenbaren feuchte Stellen und können das, was von außen eindringt, nicht mehr aufhalten. Die Grenzen können nicht aufrecht gehalten werden.
Das Haus symbolisiert die Grenzüberschreitung selbst, denn obwohl es als ein schützender Raum konstruiert wurde, entpuppt es sich nun selbst als Gefahr, da es einzustürzen droht. Am Ende der
Bestandsaufnahmen zerfällt dieses Haus tatsächlich und hinterlässt nichts als Trümmer und „sternenlose Dunkelheit“ – ein Zustand der vollständigen Konfrontation mit der eigenen, inneren
Leere.
Die Bruchstücke „Introspektionen“, „Leere Worte“, „Faltungen“ und „Gärten des Wahnsinns“ finden zum Teil ebenfalls eindeutige Zuordnungen zum Konzept der Spiegelstadt. Allen gemein ist der
traumartige Charakter dessen, was erlebt und beschrieben wird. Auch werden verschiedene Symboliken wieder aufgegriffen, die wir schon aus dem Bruchstück „Wege in das Untere“ kennen.
Die Gärten des Wahnsinns bilden eine neuartige Darstellung ab, die sich am ehesten in die nördliche Domäne der Spiegelstadt, jenseits der fauligen Felder, einordnen lässt. Die
dort ansässigen Ackermuhmen, die als Wächterinnen des Vorhangs gelten, zeigen sich in den Gärten des Wahnsinns als Trinität außerordentlicher Schrecklichkeit. Dabei symbolisieren die
„Schlächterin“, die „Leere“ und die „Täuscherin“ nichts anderes als innere Instanzen meiner eigenen Psyche, tiefenpsychologisch ergründet in Gestalt meines Alter Egos „Verfasser A“.
Bezüge zum nördlichen Außenbezirk der Spiegelstadt lassen sich auch innerhalb des jüngsten Bruchstücks „Der Grenzgänger“ finden. Hier ist die Rede von einem Vorhang, der zwei
Welten trennt, die sich nicht vereinen lassen. Gemeint sind Innen und Außen, Licht und Schatten, Bedürfnis und Pflicht. Der Vorhang symbolisiert die Schnittstelle des Lebens selbst und die
Schwellen der eigenen Identität, die im Individuationsprozess immer wieder auf die Probe gestellt wird. Er symbolisiert aber auch die schützende Hülle, die das Unaussprechliche verbirgt, den
eigenen psychologischen Abgrund. Verfasser A. wagt es, diesen zu ergründen – er wagt buchstäblich den Blick hinter den Vorhang.